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Die größte Challenge meines Lebens oder: "Hauptsache der Familie geht es gut"

Eine Erfahrungsbericht von Vanessa, aufgeschrieben im März 2023.


Zum Jahreswechsel 2019/2020 beschlossen mein Freund und ich den Kinderwunsch zu focussieren. Im April 2020, an unserem 3. Jahrestag, machte mein Freund mir einen Heiratsantrag.


Anfang Juni 2020 hatte ich einen Kontrolltermin bei meiner Frauenärztin, da ich direkt nach Absetzen der Pille eine Eierstockcyste, wie auch schon einmal in meiner Jugend, bekommen hatte. Die Cyste war weg, aber auf der anderen Seite war etwas zu erkennen.


Nach erfolgtem Urintest teilte mir die Frauenärztin mit, ich sei schwanger. Unser Wunschkind hatte sich auf den Weg gemacht. Juhu.


Körperlich merkte ich dies sehr deutlich. War es anfangs nur die Müdigkeit und bestimmte Gelüste, so wurde es ab dem 2. Trimester immer beschwerlicher. Ich litt unter der übermäßigen Schwangerschaftsübelkeit (Hyperemesis gravidarum) und später auch noch an Gestationsdiabetes.


Mitte Dezember 2020 bekam ich dann auf Grund eines Magen-Darm-Infekts vorzeitige Wehen, die zum Glück gestoppt werden konnten.


Am Ende kam unser Sohn Ende Januar 2021 bei 38+1 auf die Welt. Trotz wochenlang verkürzten Gebärmutterhals. 


Auf Grund der Coronapandemie hatten wir unsere sozialen Kontakte reduziert und uns isoliert. Seit Mitte August 2020 wurde ich fortwährend bis zum Beginn des Mutterschutzes an Weihnachten krank geschrieben, weil mit der andauernden Übelkeit an Arbeiten nicht zu denken war. Ich musste sogar kurzzeitig im Krankenhaus mit Infusionen behandelt werden, da ich unter Ketonismus (Fettverbrennung) litt.


Im August 2020 durfte mein Mann mich nach erfolgten negativen Tests noch eine Stunde pro Tag besuchen, im Dezember konnten wir uns nur am Fenster oder via Smartphone winken und im Januar 21 durfte er dann nach ca. 3 Stunden "unter der Geburt" auch in den Kreißsaal nachkommen.

 

Den Geburtsvorbereitungskurs machten mein Mann und ich an einem Wochenende Anfang November 2020 natürlich wegen der Pandemie auch online. 


Im Vergleich bzw. im Austausch mit den anderen werdenden Mütter stellte ich fest, dass ich mir mehr Sorgen und Gedanken über die Geburt machte. 


Ich erkundigte mich nach Anlaufstellen, so dass ich dann eine entsprechend geschulte Psychologin aufsuchte sowie die örtliche Anlaufstelle der EEH (Emotionelle Erste Hilfe), von der ich vorher noch nie gehört hatte.


Bis Mitte Januar 2021 genoss ich dann noch die "Bonuswochen" meiner Schwangerschaft nach den vorzeitigen Wehen. Ich konnte doch noch einen Gipsabdruck von meinem Bauch machen, obwohl ich nie hochschwanger aussah. Ich nahm insgesamt nur 5-6 kg zu. Ich war frohen Mutes und wollte eigentlich nur nochmal die EEH zur Geburtsnachbesprechung aufsuchen. Doch dann kam alles anders.

 

Um kurz nach Mitternacht platzte meine Fruchtblase. Unserem Sohn war also 2 Wochen vor Termin sein Ein-Zimmer-Appartement zu eng geworden. Mein Mann und ich fuhren zur Geburtsklinik. Diesmal war es also wirklich so weit. Vormittags schneite es leicht, wie ich vom Bett aus beobachten konnte. Auf Grund der Schmerzen wollte ich nur liegen, auch wenn dies heute als Gebärposition nicht empfohlen wird.


Im Laufe der Geburt lernten wir drei Hebammen kennen. Tatsächlich hatte ich das "Glück" einer 1:1-Betreuung, die öffentlich viel gefordert wird. Nach der Nachtschicht lernten wir die Frühschicht und dann auch noch die Hebamme aus der Tagschicht kennen.


Mit diesem Schichtwechsel ging die Geburt in die entscheidende Phase und leider kippte dann auch die Stimmung. Über meinen Kopf hinweg wurden Wehentropf, Saugglocke, Kristellergriff und später auch der Notkaiserschnitt unter Vollnarkose entschieden. Mein Sohn war also, so wie ich selbst, auch per Notkaiserschnitt auf die Welt gekommen und erst mal von mir, seiner Mutter, getrennt.

 

Nach einer Woche in der Geburtsklinik waren wir dann zu hause. Es war Anfang Februar 2021. Mein Mann hatte 4 Wochen Resturlaub genommen, um uns zu unterstützen. Meine Eltern wohnen zum Glück auch vor Ort.


Das Wunschkind war nun endlich gesund und munter da. Doch anstatt großer Freude fühlte ich nur Dankbarkeit, dass wir nun eine Familie waren. Und vor allem fühlte ich, dass ich völlig neben mir stand.


Eine große innere Leere geprägt von Emotionslosigkeit. Ich dachte ich würde mir einmal gerne die ersten Babyfotos meines Kindes ansehen. Nein, so ist es nicht. Es gibt Fotos von uns - doch selbst mit Coronamaske im Gesicht sieht man die Leere in meinen Augen. Keine Spur von Freude und Glück. Bilder, mit denen ich wenig verbinde. An die ich kaum Erinnerung habe. Es war alles wie im Nebel.


Meine Nachsorgehebamme fand meinen Zustand für eine junge Mutter völlig normal. Auf Nachfrage erwähnte sie die Psychologin, die ich bereits vor der Geburt 2-3 Mal aufgesucht hatte. Die EEH, die Hausbesuche gemacht hatte, war dann auch schnell mit ihren Kompetenzen (Massage, Rescue Tropfen) am Ende. Auf den erneuten Gesprächstermin musste ich ca. 2-3 Wochen warten.


Zwischenzeitlich ruhte ich mich auf dem Sofa aus und las einiges. Ich fing an zu googlen. Aber es dauerte bis ich die "richtigen" Suchbegriffe fand. Wochenbettdepression, Gewalt unter der Geburt, Roses Revolution, selbstbestimmte Geburt waren mir da noch völlig neu - trotz Geburtsvorbereitungskurs und Schwangerschaftsratgebern.  


In einem Babymagazin las ich dann auch erstmalig vom Verein Schatten und Licht, in dem ich heute Mitglied bin. Ich machte den Selbsttest, den man unter folgenden Link finden kann Selbsttest - Hilfe für Mütter und Väter bei peripartalen psychischen Erkrankungen (schatten-und-licht.de).


Der sogenannte Edinburgh Fragebogen bestätigte mein Gefühl. Mir ging es seelisch nicht gut. Ich funktionierte (Flasche geben, wickeln, schlafen, duschen), aber ich lebte nicht, ich war nur körperlich anwesend. Es war also höchste Zeit eine ambulante Gesprächstherapie zu beginnen.


Meine Psychologin sprach später von einer sogenannten Anpassungsstörung, eine eher leichte Form der peripartalen Erkrankungen wie Fachleute Wochenbettdepressionen nennen.


Bei mir spielte sicher die Coronapandemie auch eine entscheidende Rolle. Wir mussten eher um Besuch betteln, als dass wir im Wochenbett überrannt worden wären. Jeder war vorsichtig, jeder war zurückhaltend, fragte sich wie der andere das Thema sah, das Risiko der Ansteckung einschätzte. So war nicht nur die Welt um mich herum eine ganz andere geworden, sondern auch mein Leben. Ich war nun Mutter, 24/7.


Der Begriff der Muttertät kam in Deutschland erst Ende 2021 durch die Schwesterherzen Doulas auf.   

 

Ich googelte dennoch immer weiter und immer neue Begriffe. Ich wollte wissen was mit mir passiert ist, was mit mir los war. Ich wollte wissen, ob es anderen auch so geht - in den Krabbelgruppen, die ich ab Mitte 2021 besuchte, war ich eher ein Einhorn obwohl statistisch deutlich mehr Mütter erkranken, aber nicht jede traut sich vielleicht auch ihre Beschwerden zu äußern.


Das Buch "Es ist vorbei - ich weiß es nur noch nicht: Bewältigung traumatischer Geburtserfahrungen" von Tanja Sahib, was ich in dieser Zeit entdeckte, war für mich sehr prägend.


Wochenbettdepressionen sind in ihrer Ausprägung sehr unterschiedlich, die Ursachen vielschichtig und so individuell wie die betroffenen Mütter - aber auch Väter (Partner/-innen) - selbst.


Bei mir spielte der Verlauf der Schwangerschaft und vor allem der Geburt selbst sicher eine große Rolle.


Auf Grund des Geburtserlebnisses meide ich bis heute die Geburtsklinik, nehme seit dem an der jährlichen Roses Revolution (25.11.) teil und empfinde das Ereignis bis heute als traumatisch. Aber ich habe es mittlerweile geschafft, die Geburt als solche zu verarbeiten. Bin nun in meiner Mutterrolle angekommen. 

 

Mein Sohn ist mittlerweile 2 Jahre alt. Ab August 2023 wird er eine Kita besuchen. Meine Elternzeit wird voraussichtlich im September 2023 enden. Nun kann ich meine Elternzeit auch endlich genießen.


Ich gehe mit meinem Sohn immer noch in eine Spielgruppe und zum Kinderturnen. Wir haben über diese Gruppen und diverse Spielplatzbesuche mittlerweile neue Freunde gefunden. Nun wo mein Sohn selbst sprechen kann, fragt er auch immer wieder nach seinen Freunden, die er größtenteils schon im Krabbelalter kennengelernt hat. Die Kinder sind in den letzten (fast) 2 Jahren zusammen groß geworden. Die ersten haben bereits jüngere Geschwister.  

 

Ich habe die ersten Monate meines Sohnes nicht wirklich wahr genommen. Ich war gefühlt nie Mutter eines Baby. Ich war direkt die Mutter von einem Kleinkind.


Ja, das ist sehr schade und bedauerlich. Aber gleichzeitig bin ich auch sehr froh, den Nebel überwunden zu haben und genieße jetzt die gemeinsame Zeit mit meinem Sohn vielleicht um so bewusster. Freue mich über seine Fortschritte. Genieße die Interaktion mit ihm.


Es hat gedauert eh die Mutter-Kind-Bindung entstanden ist, aber nun ist sie da. Ich bin sehr dankbar, dass mein Mann uns unterschützt hat und viel aufgefangen hat.


Ich bin sehr froh, dass ich mich ungefähr nach einem Vierteljahr entschlossen habe, die Frühe Hilfen (hier geht;s zu den Frühen Hilfen in Österreich) zu kontaktieren. Die Familienhebamme, die uns bis zum Ende des 1. Lebensjahres besucht hat, war eine große Hilfe für uns. Die individuellen Gespräche, die Reflektionen unseres Alltages waren sehr hilfreich.

 

Ich bin froh, soweit gekommen zu sein. Ich bin froh, dass wir als Familie jetzt soweit gekommen sind. Unser Sohn läuft, spricht, wird immer selbstständiger.


Aber ich weiß nicht, ob ich noch mal so viel Kraft und Energie aufbringen könnte.


In Erinnerung geblieben ist mir der weit verbreitete Satz "Hauptsache dem Kind geht es gut".


Nein: Hauptsache der gesamten Familie geht es körperlich und mental gut. Nur wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut !!!

 

Du kannst Vanessa für Fragen oder Austausch per Email kontaktieren.

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